Retuschieren – sind wir schon soweit, dass man sich dafür entschuldigen muss, dass man ein Foto veröffentlicht, ohne es retuschiert zu haben?
Da stoße ich rein zufällig auf einen Beitrag bei Facebook und mir rutscht beim lesen beinahe die Kaffeetasse aus der Hand.
In einer der unzähligen (und manchmal unsäglichen) Fotogruppen wurde ein Foto gepostet und der Fotograf entschuldigte sich dafür, dass er das Foto unbearbeitet hochgeladen hat. Es entbrannte eine Diskussion für und wider des retuschierens. Soweit ja kein Problem.
Bis irgendwelche Deppen sich aufplusterten und die Meinungen vertraten, dass a) ein guter Fotograf seine Fotos perfekt aus der Kamera bekommt oder b) man keine unbearbeiteten Fotos zeigen darf. Und an diesem Punkt habe ich die Gruppe kopfschüttelnd wieder verlassen.
Bye the way, das gezeigte Porträt war ordentlich belichtet und auch Bildschnitt etc. passten. Also ein Foto, dass man im Grunde nicht retuschieren muss.
Fotos perfekt aus der Kamera?
Hmm, ja und nein. Natürlich sollten die Fotos schon beim fotografieren so gut als möglich belichtet und auch arrangiert werden. Aber ich weiß aus Erfahrung, dass dies nicht immer möglich ist, manchmal muss man eben Abstriche machen. Aber wenn das Licht stimmt, egal ob Umgebungslicht oder künstliches Licht, hat man doch schon den ersten Schritt zu einem guten Foto out of the cam getan. Wenn dann noch der Bildschnitt und das übrige Arrangement, der Hintergrund etc., stimmt, dann ist das Foto doch beinahe perfekt (aus der Kamera).
Würde man dem Tenor einiger Deppen in besagter Fotogruppe folgen, dann würde es sich kein Fotograf, egal ob Profi oder Amateur, erlauben, mäßige Fotos out of the cam zu fotografieren. Aber, dass ist ein Trugschluss. Selbst in der Profiliga, ganz weit oben, wird oftmals Zeit mit Einbußen bei der Qualität getauscht. Man erspart sich die Zeit für ein perfektes Licht, und damit dem Kunden Geld, oftmals richtig viel Geld. Natürlich muss dann ein Grafiker ran, aber die Zeit, die dieser benötigt, kosten dem Auftraggeber wesentlich weniger Geld, als der perfekte Lichtaufbau am Set. Denn am Set springen wesentlich mehr kleine Helferlein herum, die bezahlt werden möchten, als am Schreibtisch des Grafikers!
Einige interessante Beispiele findet ihr auf der Seite von Glenn Feron und auch ich habe einige Beispiele auf der Fotoecke veröffentlicht. Glenn zeigt in seinem Portfolio die original Fotos und zum Vergleich seine Retuschearbeiten. Wenn man genau hinsieht, dann erkennt man, dass auch die RAW-Fotos der Profis nicht anders aussehen, als diejenigen, die der engagierte Amateurfotograf aus seiner Kamera hervor bringt!
Ich kenne die Seite schon seit vielen Jahren, früher hatte Glenn dort arbeiten veröffentlicht, die alle damaligen Top-Modelle umfasste. Er hat Fotos von Gisele Bündchen retuschiert, oder beispielsweise von Heidi Klum und vielen mehr. Und diese Top-Modelle werden nicht von irgendwelchen Trotteln fotografiert, sondern von teuer bezahlten Profis. Und auch hier konnte man (und kann man immer noch) gut sehen, dass auch Rankin & Co. nur mit Wasser kochen, sprich, auch bei denen ist nicht immer alles perfekt!
Und wenn die Profis nicht immer alles so super Dolle hinbekommen, warum muss also der Amateurfotograf, der nur seinem Hobby nachgeht, seine Fotos out of the cam verstecken? Eben, muss er nicht. Und damit ist die These a) der Gruppendeppen hinfällig.
Retuschieren, ein MUSS?
Hmm, ja und nein. Oder nee… ich denke, dass muss doch jeder für sich selbst entscheiden. Dem einen gefällts, dem oder der anderen eben nicht. Der eine mag es stark retuschiert, die andere mag es nur leicht retuschiert. So what? Soll retuschieren wer mag, der andere lässt es. Ich mag es! Mal mehr, mal weniger.
Im übrigen ist die These b) der Gruppendeppen einfach nur dämlich!
Was mir viel wichtiger ist. Es verstärkt sich bei mir immer mehr der Eindruck, dass viele Fotografen, die sich in den Gruppen der sozialen Medien oder beispielsweise in den Foto-Foren tummeln, nicht für sich selbst fotografieren, sondern für die anderen. Damit die anderen Teilnehmer zufrieden sind mit der Arbeit des Fotografen und ihm bestätigen: Schönes Foto!
Klar, dass mag jeder gerne hören, aber viel wichtiger ist doch, dass man für sich selbst fotografiert. Das man sich und seine Sichtweise der Dinge in den Fotos erkennt, und nicht die Vorlieben der Gruppentrolle bedient!
Retuschieren – ein neurotischer Zwang?
Zurück zur Eingangsfrage. Ich erlaube mir diese Frage mit Ja zu beantworten. Auch bei mir geht kaum ein Foto ohne es zu retuschieren in die Öffentlichkeit. Wobei, vielleicht sollte man zwischen Belichtungskorrekturen und tatsächlichem retuschieren unterscheiden. In diesem Fall reduziert sich das Maß der retuschierten Fotos bei meinen Veröffentlichungen schon ganz gut.
Oh Gott, ich habe eine Neurose. Ich beende das jetzt hier und suche einen Arzt auf.
Halt, nein. Abschließend noch die Frage: Wie haltet ihr es mit der Retusche und darf man auch unbearbeitete Fotos veröffentlichen?
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